Rellie
(1. März 2013 um kurz vor acht des Abends)
Explodieren die Boliden
ist das Publikum zufrieden
denn ein flammendes Inferno
schaut man immer wieder gern o’.
Seltsam, dieses Uraltlied aus der Neuen Deutschen Welle kommt mir immer in den Sinn, wenn in St. Wendel das Rallyefieber ausbricht. Und dann freu ich mich auch immer, daß ich drüben in Alsfassen wohne, denn dort kriegt man gemeinhin nix davon mit. Ab und an früh morgens ein bißchem Brooarroarr, aber sonsten hält sichs in Grenzen.
An diesem Freitagabend, als die Jungs und Mädels schon eine ganze Zeitlang mit ihren Automobilen durch die Stadt geheizt waren – nicht, daß ich sie beneide (man wird ruhiger, wenn man den Zenith überschritten hat – ach ja, älter, weiser und langsam aber sicher senil J), aber manchmal, wenn ich durch die Gymnasialstraße fahre, um doch noch rechtzeitig zu meinem Massagetermin zu kommen (eigentlich wärs am einfachsten, ich würd 5 Minuten früher losfahren – nehm ich mir auch immer vor – aber dabei bleibts dann auch), dann würd ich gern schon mal drauftreten auf den Pinsel und so richtig Gas geben – allein, mein Auto – auch schon relativ hochbetagt – würde mir zu verstehen geben, daß ihm und mir diese Option schon immer versagt blieb, u.a. ob seiner nicht so besonderen PS-Zahl und Hubraumstärke.
Nun, heute war ich fast zur Gänze zu Fuß unterwegs, ganz zur Gänze das ganze letzte Stück. Das Automobil stand vorn am Bahnübergang auf seinem üblichen Parkplatz neben dem ehemaligen Copyshop. Ich war ausgestiegen, hatte die Kerze in der Laterne angezündet, diese an die Pieke (so nenn ich meine Hellebarde – komischer Name, denn weder ist sie hell noch kann sie singen) gehängt und war südseitig der Kelsweilerstraße in Richtung Innenstadt losmarschiert. Ich passierte besagten ehemaligen Copyshop, schenkte dem alten Fernseher, den irgendein Depp vor ein paar Monaten dort im Eingang abgestellt hatte, einen weiteren bedauernden Blick, ließ die Einfahrt zum Hinterhof und das Wohnhaus daneben rechts liegen und fand mich in etwa in Höhe der Tafel (die ursprünglich hier befindliche Bemerkung in Klammern fiel der Zensur zum Opfer), als ich eines kleinen weißen Autos gewahr wurde, daß auf der rechten Seite der Kelsweilerstraße Richtung Bahnübergang fuhr. Daran ist an sich nichts Ungewöhnliches, schließlich ist die Straße zum Befahren da, nur hatte der Lenker dieser Mühle die Warnblinker angeschaltet. Erst dachte ich, der wird abgeschleppt, weil er so dicht auf seinem Vordermann aufsaß, aber dann erkannte ich, nee, der fährt nur dicht auf. Das Fahrzeug passierte meine Position, ich drehte mich soweit in seine Fahrtrichtung, daß ich erkennen konnte, daß der Fahrer vorn an der Einmündung in die Mommstraße voll in die Eisen ging und über die eingezeichnete Verkehrsinsel – na, dieses Feld zwischen der Nach-Links- und der Nach-Rechts-Spur - nach links zog. Oh, dachte ich, will wohl Richtung Bahnhof, ist sicher nicht von ihr. Solche Manöver sieht man da vorn schon mal, wenn die Leute nicht wissen, wo’s lang geht. Ich zuckte die Schultern und wollte meinen Weg fortsetzen, als ich auf unsere Nachbarin Elfriede traf, die wohl auf dem Heimweg war. Wir plauschten einige Sekunden, dann mußte ich weiter. Es ging auf acht Uhr, und dann sollte ich oben vorm Dom stehen, um potentielle Gäste für die Nachtwächterführung zu erwarten. Ja, ich weiß, das ist ein guter Witz, wer kommt schon freiwillig mitte Februar nach St. Wendel zur Nachtwächter- oder irgendeiner anderen Führung. Ende Januar bis Mitte März ist halt Sauregurkenzeit, aber wir bieten es an, also muß auch einer da stehen. Und da der Kollege zur Zeit im Krankenhaus war, um neue Kniee zu bekommen, war ich’s halt, der da stehen mußte jenes abends. Ich wollte mich grad von Elfriede verabschieden und hatte die Pieke mit dranhängender Laterne schon wieder geschultert, da bemerkte ich einen scharfen Luftzug am Rücken und – wusch – raste der kleine Weiße an mir vorbei. Mit Vollgas die Kelsweilerstraße entlang, schön auf der rechten Seite, aber – in der falschen Richtung. Schließlich ist die Kelsweilerstraße eine Einbahnstraße in Richtung Bahnübergang. Aber das hat wohl dieser Herr (oder war’s ne Dame?) nicht begriffen, sonst hätte er sich wohl kaum rechts eingeordnet, wenn er auch sonst alle Verkehrsregeln außer acht ließ. Ich staunte ihm mit offenem Mund hinterher, als auch schon die Nachbarin mir zurief: „Haste das gesehen? Fast hätte er dich erwischt.“
Ich wünschte ihr einen schönen Abend und ging ziemlich fassungslos weiter Richtung Innenstadt. Ich kam bis auf die Brücke über den Todtbach, als ich im Alten Woog Lichter blinken sah. Ein Röhren ertönte, ganz tief, dann ein Spucken, Rattern, wieder Röhren. Weitere Lichter blitzten auf, Reifen quietschten, dann röhrte wieder ein leicht überdrehter Motor. Und die wilde Jagd sprang aus dem Alten Woog in die Kelsweilerstraße. D.h. sie setzte zum Sprung an – und hielt inne. Es war wieder dieser kleine weiße Wagen, der jetzt vorn auf dem Zebrastreifen anhielt, der den Bürgersteig über den Alten Woog hin verlängert. Die Kiste stand mir genau gegenüber und starrte mich an – he, was guggst Du? schien sie mich zu fragen. Oder aber – na, was probieren wir jetzt aus? Er trug ein fremdes Kennzeichen – SL –, und vorn auf der Kühlerhaube prangte eine schwarze Lufthutze. Haube und Flanken waren voller Aufkleber in allen möglichen Varianten – all die Firmen und Clubs und was-weiß-ich, die ich zwar immer wieder sehe, an die mich aber bewußt nie erinnern kann. Wie jetzt auch, vierzehn Tage nach diesem Abend.
So standen wir da, er in weiß, ich in schwarz, und schauten uns an. Dann machte die Karre plötzlich einen Sprung nach links (von mir aus gesehen rechts), sprang auf die rechte Fahrspur (der Typ hatte es immer noch nicht gemerkt), preschte über den Zebrastreifen vorm Portofino und ging bei Optik John voll in die Eisen. Und hinter ihm kam eine schwarze Limousine, die das Manöver komplett wiederholte und ihm beinahe hinten voll draufgefahren wäre. Im letzten Moment kam sie zum Stehen, das Hinterteil noch auf dem Zebrastreifen. Den überquerte ich und hieb mit der flachen behandschuhten Hand ein paar mal auf die Heckscheibe der Limousine. Der Fahrer ließ sein Fenster runter und schaute mich halb fragend, halb vorwurfsvoll an. Auf seine unausgesprochene Frage brachte ich eine Gegenfrage: „Sie wissen schon, daß Sie gegen eine Einbahnstraße fahren?“, worauf er erwiderte: „Ja, das hab ich bemerkt, ich bin hinter ihm hergefahren, um ihm zu sagen, daß er hier falsch fährt.“ Ich schaute ihn über den Rand der Brille und reichlich zweifelnd an und unterdrückte den Satz „das nenn ich den Teufel mit dem Beezlebub austreiben“, er schaute schon so ziemlich verwirrt, das hätte er wohl nicht verstanden.
Der Fahrer der weißen Mühle hatte mittlerweile schon wieder gedreht und wartete mit ungeduldig heulendem Motor, daß ich den Bürgersteig freimachte.
Was? Ob ich denen den Vogel zeigte? Nee, ging nicht. Ich hatte keine Hand frei.
Als ich später oben am Dom die Geschichte erzählte, fragte man mich nach dem Autokennzeichen. SL. Oh, das steht für Schleswig. Das war wohl ein Teilnehmer – ja, die sind manchmal so.
Ach so, na, das erklärt alles.