Keller, Knochen und die Zeit
eine Reihe von Nachträgen aus der Zeit nach der Beendigung der zweiten Grabung
Primo - Scherben im Keller
Im Frühsommer 2001 begannen wir, den Keller in unserem Haus tiefer zu legen. Es stand zu befürchten, daß der Balkon hinterm Haus, der aus den Sechzigern stammt, auseinanderzufallen droht. Deshalb beschlossen wir, den Keller auszubauen und Waschmaschine und Trockner, die derzeit im alten Toilettenhäuschen auf dem Balkon stehen, dorthin zu verlegen. Nun ist unser Keller zwar schon etwas älter, wurde aber um 1910 zusammen mit dem unteren Giebel restauriert. Das bedeutet, daß damals der alte Gewölbekeller zugunsten eines modernen rechteckigen Raumes abgebaut wurde. Die Decke wird jetzt von sog. Holsteiner Pfannen getragen, damals wohl mit das modernste, was zur Verfügung stand. Die Deckenhöhe lag mit 1,85 Metern für meine Begriffe aber etwas niedrig. Also beschlossen wir, den Boden um etwa 80 cm zu senken, so daß ein neuer Estrichboden auf einer Schotterlage eingezogen werden konnte. Allein, wir waren noch nicht 20 cm tief gekommen, als auch schon wieder erste Scherben zum Vorschein kamen. Sie gehörten allerdings zu dem Typ, der von den Archäologen als nicht römisch, sondern frühestens mittelalterlich, wenn nicht gar neuzeitlich eingestuft worden war. Wir fanden sie in einer etwa 30 cm dicken Schicht verteilt über die ganze rechte Hälfte des Kellers. Am linken Rand tauchten wieder die Römer auf, diesmal allerdings nur in Form von Ziegelstückchen. Ich schickte schnell ein Fax ans Konservatoramt, wir warteten die obligatorischen drei Tage, und machten dann - als keine Antwort kam - weiter. Die Anordnung und Größe der Scherben und vor allem ihre Konzentration machten bald deutlich, daß sie vermutlich vorsätzlich hierhergebracht und als Füllmaterial in den Lehm gemischt worden waren. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit unserem Haus in einer alten Akte in der Landeskundlichen Abteilung der Stadtbibliothek in Saarbrücken. Da heißt es im "Gütter Buch oder Register Mein Franz Ernsten Dhame zur Zeit statt Schultheißen Ambst Verwaltteren und Kellneren zu St. Wendell eigenthumbs ererbt und mit meiner Haußfrauwen Maria Katharina D'hauzeur von abenteyr erkaufften Gütter in und ausserhalb des Ambtes St. Wendel/Datum: 1739 ff." [Depositum des Historischen Vereins für die Saargegend im Landesarchiv Saarbrücken, Signatur H.V.J2] über unser Haus, daß "solches Vor Zeiten das Brennhaus sich genannt und Von Bast Kleinen in anno 1655 erkaufft worden,..."
Die Benutzung des Hauses "vor Zeiten" als Brennhaus endete spätestens 1655 mit dem Verkauf des Hauses. Der Großvater von Franz-Ernst namens Johann Philipp benutzte das Haus als Wohnhaus des Verwalters seiner Schäferei in Alsfassen. Bisher konne ich nicht ermitteln, welchen Beruf Sebastian Klein ausübte. Sicher ist, daß er bereits 1627 in einem eigenen Haus in Alsfassen wohnte. Ich kann also nur vermuten, daß die im Keller aufgefundenen Scherben, die zu irdenem Geschirr verschiedenster Art gehören - mit Glasuren und Bemalungen und auch ohne - hier im Haus irgendwann vor 1655 angefertigt wurden.
Das schönste - und auch rätselhafteste - Stück fand ich mitten im Lehm. Es ist eine Darstellung eines Gesichts mit zwei aufgesetzten runden Augen, einer etwa 1 cm hervorstoßenden Nase mit zwei Nasenlöchern, einem "o"-Mund und einem aus drei Teilen bestehenden Schnur- und Spitzbart. Die Plastik scheint Bestandteil eines größeren Gefäßes gewesen zu sein, ihr oberer Rand sieht aus, als ob sie irgendwo an- oder aufgesetzt gewesen sei. Über die Herkunft und das Alter gibt es seitens derer, die ich angesprochen habe, Theorien, die weit auseinandergehen. Ganz neu, uralt, modern, keltisch, römisch.
Die meisten Fundstücke liegen jetzt in einer Kiste auf der Tenne und harren der Spezialisten, die vermutlich nie kommen werden. Egal, wie alt sie auch sein mögen, ich werde es nie übers Herz bringen, sie wegzuwerfen, denn sie sind ebenso Bestandteil des Hauses wie seine Mauern und Balken.
Secundo - alte Knochen
Bereits in der vorigen Ausgabe von "gestern" habe ich über unsere Abenteuer mit dem Konservatoramt in Saarbrücken berichtet, u.a. auch über deren Versprechen, am Jahresende die Knochen der beiden Skelette, die wir im Garten fanden, datieren zu lassen - in Absprache mit der Haushaltsabteilung. Nun bin ich leider nicht ganz so dumm, wie ich aussehen mag, deshalb war mir klar, was daraus werden würde, nämlich nichts. Und deshalb ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe und entnahm dem Skelett, dessen Oberkörper (ab Becken) noch unter der Tuja-Hecke im Lauer'schen Garten ruht, die unten aus der Erde herausragenden Oberschenkelstümpfe, als Roger das im Rahmen der Grabungen im Frühjahr 2000 ausgehobene Hypocaustum wieder verfüllte. Diese Knochen waren bei den letzten Erdarbeiten heruntergefallen. Statt sie nun wieder in den Boden zu stecken, verwahrte ich sie zuerst in einer luftdicht verschlossenen Plastiktüte und schickte sie dann an das Leibnitz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung an der Universität in Kiel. Die Anschrift war mir bereits im Frühjahr freundlicherweise von Herrn Dr. R. vom Konservatoramt zur Verfügung gestellt worden. Da ich die Rechnung selbst bezahlen mußte (so ne Datierung kostet um die 350 Mark), schied die teurere AMS-Methode zugunsten der "konventionellen C-14-Datierung" aus.
Das erste Ergebnis lag im Ende Mai 2001 vor; Dr. Erlenkeuser bat mich aber, sicherheitshalber auf das Ergebnis einer Nachmessung zu warten, die Anfang August 2001 abgeschlossen war. Darin wurde das Ergebnis vom Mai bestätigt:
"30.05.01 CalSet No
H. Erlenkeuser Intercal93.14C 1
Leibniz-Labor UWTEN93.14C 2
für Altersbestimmung und Isotopenforschung Marine93.14C 3
Intercal98.14C 4
R. Geiger/St. Wendel
Ihre Probenbezeichnung: St. Wendel; Alsfassenerstr.17;Knochen
Unsere Nr. KI-4846
CalSet No
Intercal93.14C 1
UWTEN93.14C 2
Marine93.14C 3
Intercal98.14C 4
C14-Alter (a BP) und statist. Fehler (±1s) 1120 ± 70
d13C %oPDB -21,24
Kalender-Alter (von-bis) für ±1,65 s; P=90% 775 AD <J< 1025 AD
CalSet 44/1,6s"
Herr Dr. Erlenkeuser fügte eine Erläuterung zu den C14-Ergebnissen bei, die mir trotz der komplexen Thematik sehr geholfen hat, die Ergebnisse nachzuvollziehen (nun ja, so ziemlich jedenfalls):
"Das angegebene C14-Alter (BP = before present = vor A.D.1950) wurde mit der konventionellen Halbwertszeit (Libby-Halbwertszeit) von 5568 a berechnet und zur Korrektur auf Isotopenfraktionierung auf ?13C=?25 ‰PDB normiert. Der für die Altersberechnung verwendete sogen. Rezentwert wurde an Hand des internationalen 'SRM 4990C Oxalic Acid C14-Standard' bestimmt. - Der angegebene statistische Fehler (genannt: sigma; kurz: s) ergibt sich aus den Regeln der Zählratenstatistik und besagt, daß das tatsächliche C14-Alter mit 68, 95 oder 99 % Wahrscheinlichkeit im Intervall ±1s, ±2s oder ±3s liegt.
Zur Einordnung in den normalen astronomischen Kalender muß das C14-Alter auf die säkularen Variationen des C14-Rezentwertes korrigiert werden. Diese Korrekturen können nach den Ergebnissen der dendrochronologischen Eichungen (Radiocarbon, Vol. 40, No. 3, 1998) bestimmt werden. Dabei nehmen wir auf der C14-Altersskala einen Fehlerbereich von ±1,65 s an, entspr. einem Vertrauensniveau von 90 %, berücksichtigen den Fehler der Kalibrationskurve dabei durch 'quadratische Addition' und projizieren diesen Bereich an Hand der Kalibrationskurve auf die kalibrierte Zeitskala (BC=Before Christ, AD= Anno Domini). Diese Projektion ist je nach Verlauf der Kalibrationskurve nicht unbedingt zusammenhängend, sie kann zu einer Folge diskreter Intervalle führen. Wir geben hier nur die Spanne zwischen den äußeren Grenzen an. Zur Kalibration werden die Datensätze INTCAL98.14C, UWSY98.14C oder MARINE98.14C (Ref: Stuiver et al, 1998, Radiocarbon Vol. 40, 1041) verwendet (s. Liste der Ergebnisse, in der diese CalSets mit 44, 55 oder 66 nummeriert sind).
Die vorstehenden beiden Absätze sollen festhalten, nach welchem Auswerteverfahren das vorgestellte Alter ermittelt wurde.- Die Probenpräparation umfaßt zunächst eine optische Inspektion unter dem Stereomikroskop, in der Regel auch eine photographische Dokumentation und ggf. eine mechanische Reinigung. Die anschließende chemische Bearbeitung organischer Proben beinhaltet die Entfernung evt. eingedrungener Karbonate mit verdünnter Salzsäure, je nach Humifizierungsgrad auch die Extraktion möglicherweise eingedrungener, in der Regel altersfremder Huminstoffe mit verdünnter Natronlauge, das Neutralwaschen der Probe aus dem Sauren heraus, das Trocknen und dann die Verbrennung im Sauerstoffstrom in einer speziellen Verbrennungsapparatur oder auch die naßchemische Oxidation zu CO2. Im Falle von Knochenproben wird nach Entfernen der Karbonate die Kollagenmatrix in (gelöste) Gelatine überführt, vom unlöslichen Rest abfiltriert, eingeengt und getrocknet. Die C14-Analyse erfolgt an dieser Fraktion. - Karbonatproben werden mit verdünnter Salzsäure zu CO2 umgewandelt. – Das aus den Proben gewonnene CO2 wird als Meßgas in speziellen Low-Level-C14-Meßanlagen auf seinen C14-Gehalt hin untersucht.
Zur genaueren Information ist die sogen. Kalibrierung des C14-Alters graphisch erläutert. Das gemessene C14-Alter schneidet die Kalibrationskurve (obere oder linke Abb., schräg durchlaufender Linienzug) u. U. in mehreren Punkten, jeweils markiert durch das Lot auf die x-Achse = Kalenderzeitachse. Wegen der (zählstatistischen) Ungenauigkeit der Messung sind dies aber keineswegs die notwendigen Lösungen, vielmehr ergibt die Projektion des Fehlerbereiches einen entsprechenden Lösungsbereich auf der Kalenderzeitskala. Dabei sind zur Festlegung der Fehlergrenzen auf der C14-Altersseite die (veränderlichen) Fehler der Kalibrationsdaten dem Fehler der Messung (durch quadratische Addition) zugeschlagen. Der Lösungsbereich auf der Kalenderzeitskala ist mitnichten in seinem Umfang fest, vielmehr hängt seine Größe von der vom menschlichen Betrachter gewünschten Irrtumswahrscheinlichkeit ab. Für das Diagramm haben die Autoren (Stuiver & Reimer, 1993) eine Irrtumswahrschein-lichkeit von 5 % - oder eine “Sicherheit” von 95% - gewählt. Das wahre Alter der Probe liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % in diesem Bereich.
Der Bereich ist allerdings in sich nicht gleichwertig, vielmehr sind die äußeren Abschnitte weniger wahrscheinlich als innere, und selbst das Innere kann noch wahrscheinlichkeitsmäßig strukturiert sein. Dies zeigt die untere oder rechte Abb. Sie gibt die Wahrscheinlichkeit an, daß das untersuchte Material in dem gerade betrachteten Kalenderjahr gewachsen ist (“Vaterschaftswahrscheinlichkeit” der betr. Dekade bzw. Bidekade). [Der Zeitraum auf der Kalenderzeitachse ist bei INTCAL98.14C bis 13640 v.Chr. in Dekaden zu zählen, z.B. 1215 (für 1210-1220), 1225… etc. - die Kalibrierungskurve faßt die ihr zu Grunde liegenden Einzelmessungen 10-jahresweise zusammen.]
Wenn C14-Alter zusammengefaßt werden, werden sie zu einem ‘gewichteten’ Mittelwert zusammengefaßt, wobei die reziproken Fehlerquadrate als Gewichte verwendet werden. "
Auf den Punkt brachte es Herr Dr. Erlenkeuser in einer begleitenden Email:
"... wir haben das Gas aus 'Ihren' Knochen ein weiteres Mal gemessen, nachdem wir es zuvor vorsichtshalber noch einmal nachgereinigt hatten. Es bestätigt sich das vorherige Datum. Beide Daten sind zu einem Average (Mittelwert) zusamengefaßt und geben nun einen deutlich genaueren Wert. Dadurch sind wir zwar nicht ganz vom C14-Plateau im 9. Jh. herunter, aber die Vaterschaftswahrscheinlichkeit für diese Zeit ist doch sehr gering und eher marginal zu nennen. Sie konzentriert sich jetzt klar auf das Jahrhundert danach , und ich setze das Kalenderdatum ins 10. Jahrhundert, wenn nicht ganz gravierend etwas dagegen spräche.
Ggf. müßten weitere Analysen, an neuen, von der ersten unabhängigen Proben, zeigen, ob das vorliegende Ergebnis von einem Streufund stammt oder doch eine Siedlungsepoche datiert."
Hier will ich die Gelegenheit ergreifen und mich bei Herrn Dr. Erlenkeuser und seinem Team für diese - für meine Begriffe - phantastische Arbeit bedanken.
Die Knochen wurden also ins 10. Jahrhundert datiert, also von 900 bis 1000 nach Christus. Aus der Tatsache, daß zwei Skelette gefunden wurden, aus ihrer Lage und Ausrichtung, aus ihrem Fundort (im Innern der Villa auf den Resten des Hypokaustums bzw. Praefurniums) und aus dieser Datierung lassen sich einige interessante Rückschlüsse ziehen:
Lage und Ausrichtung:
Die beiden Toten lagen auf dem Rücken, den Kopf im Westen, die Füße im Osten, die Arme an der Seite ausgestreckt. Das deutet auf eine christliche Bestattung hin, d.h. sie liegen hier nicht zufällig, sondern sind mit Absicht hier begraben worden. Da es sich um zwei Tote handelt, die in einem Abstand von einigen Metern voneinander liegen, ist davon auszugehen, daß dies ein Bestattungsort war, der zu unterschiedlichen Zeiten benutzt wurde, nicht zufällig nur einmal. Vermutlich liegen sowohl im Berens'schen als auch im benachbarten Lauer'schen Garten noch weitere Tote.
Fundort:
Sie lagen im Innern der Villa auf den Resten des Hypokaustums bzw. Praefurniums, d.h. den damaligen Bewohnern dieser Gegend war die Villa bekannt. Vielleicht nicht als römische Villa, so sie überhaupt wußten, was das gewesen war, aber immerhin als eine Stätte, die man nur zur Bestattung von Toten nutzen konnte und nutzte. Es mag spekulativ sein zu behaupten, daß St. Wendel bzw. seine Vorgängersiedlung Basonvillare, noch nicht existierte. Es scheint aber dort noch keine Kirche gegeben zu haben, sonst wären die Toten nicht hier, sondern dort beerdigt worden. Auf jeden Fall gab es in der Nähe dieser Stelle eine Siedlung, wo die Menschen wohnten, die ihre Toten hier begruben. Und das mehr als dreihundert Jahre, bevor der Name des Ortes zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde.
Tertio - ... und alle meine Toten.
"Was weiter geschah an Weinen und Klagen der Männer und Frauen, davon schweigt die Mär", doch langsam aber sicher dringt die Kunde unserer Funde auch nach draußen. Und unsere Nachbarn sind nun sensibilisiert und achten darauf, was da so aus dem Boden kommt, wenn sie ein Loch machen. Wie bei Roger Berens im Oktober 2001, als er hinter seiner Scheune den Boden öffnet, um die Wand trockenzulegen und etwa in der Mitte der Wand auf sauber verlegte Platten und einen Hypokaustenpfeilerziegelstapel stößt. Da kann das nächste Skelett nicht weit sein, und er findet es an der Scheunenecke, perfekt nach Ost-West ausgerichtet, auf dem Rücken liegend, wie bei den beiden Funden vorher. Der Konservator wird gerufen, und man ist sich dort wohl nicht schlüssig, wie weiter zu verfahren ist. Der Körper liegt teils auf Rogers, teils auf Nachbar Lelligs Boden und ist nur halb freigelegt. Roger muß/darf die Knochen säubern, was er gewissenhaft mit Spatel und Zahnbürste erledigte. Parallel dazu wird gerade über die Totenfunde in Tholey berichtet, wo man am Tag nach dem Fund bzw. der Zeitungsmeldung kurzerhand einen Schädel klaute. Manche Leute haben schon 'ne Macke, und die - gepaart mit Zerstörungswut - das wird langsam zum Trend.
Der dritte Körper, der im Bereich der römischen Villa von Alsfassen gefunden wurde, liegt noch in situ (d.h. an Ort und Stelle)
Ein anderer Nachbar, der auf dem Hügel wohnt, berichtete mir jüngst, daß er oberhalb der Straße in seinem Garten, der in der Gemarkung "Falkenbösch" liegt, beim Anlegen einer Feuerstelle auf Scherben stieß, die verdächtig "wie das Zäich aussiehn, wo du en däinem Gaade gefonn haschd. Awer ich saan nemand ebbes - oußa dir."
PS: Mittlerweile (Oktober 2001) sind wir mit unserem Keller ein ganzes Stück weiter. Der neue Fußboden ist drin, das Fenster auch. Aber als ich vorige Woche im Ausgangsbereich ein Loch aushebe, um die Abwasserrohre, für die wir die Außenmauer durchbrochen hatten, in die Hauptabwasserleitung weiterzuführen, ... Sie werden nicht erraten, auf was ich da in 30 cm Tiefe stoße? Eine sehr gut erhaltene Mauer, die im gleichen Winkel wie alle bisherigen mitten durch unser Grundstück läuft.
Die Römer sind wieder da.
Quarto - tausend Steine könnten redend zeugen
Bei einer Ausstellung sprach ich mit einem Wünschelrutengänger, Herrn Volz aus Dörrenbach, der mir anbot, sich unser Gelände mit einer Sonde mal anzuschauen. Ich bin zwar bei diesen Herren (Damen kenne ich da keine) äußerst skeptisch, sage mir aber, was soll's, schaden kann's nicht und weh tun wird's auch nicht. Also lud ich ihn ein vorbeizukommen, und er kam an einem Samstag Anfang November 2001. Der Herbst zeigte sich von seiner sonnigen Seite, angenehme 15 Grad Celsius herrschten, was - wie mir Herr Volz versicherte - optimal für seine Messungen sei. Sein Handwerkszeug besteht aus zwei in L-form gebogenen Metallstäben, beide etwa 40 cm lang. Er hält sie mit beiden Händen am kurzen Ende, so daß die längeren Enden parallel zum Boden von ihm wegzeigen und locker in seinen Händen liegen. Die hat er mit dicken Arbeitshandschuhen geschützt (die werden benötigt, weil ihm sonst die Arbeit mit den verschiedenen Magnetfeldern an die Gesundheit geht). Ich war sehr skeptisch und glaubte ihm erst mal kein Wort von dem, was er sagte. Er sagte mir von vornherei, er wolle kein Wort drüber hören, wo wir von was in der Erde wüßten, das fände er alles selber. Er stellte sich also auf den Hof vor unserem Haus, der mich im Laufe des letzten Jahres so manchen Tropfen Schweiß gekostet hatte, konzentrierte sich und fing an.
Meine Skepsis verwandelte sich innerhalb von fünf Minuten in ungläubiges, dann gläubiges Staunen, als er mit nichts in der Hand als seinen beiden Sonden auf Anhieb die Mauern fand, die dort im Boden lagen, und ihre Kreuzungs- und Eckpunkte (die werden durch die Sonden angezeigt, die z.B. bei einer Nord-Ost-Ecke eine nach Norden, die andere nach Osten zeigen). Ich war baff und nahm Herrn Volz endlich ernst.
Wir liefen kreuz und quer durch unseren Garten, und er zeigte mir bekannte und bisher unbekannte Mauern und Quermauern - dort, wo wir bereits gegraben hatten und an den anderen Stellen auch. Drüben bei Roger fand er auf Anhieb einen Brunnen, den er auf römisch schätzt, und fünf Wasseradern münden dort hinein. Als ich ihm das Skelett zeigte, ordnete er auf Knochen um (das klang wirklich unglaubwürdig, da geriet mein Glaube wieder sehr ins Wanken) und lokalisierte damit erstmal den Herrn oder die Dame, die an der Grenze zur Familie Lauer noch im Boden lag. Wieder war ich platt. Und dann fand er noch zwei weitere Skelette, deren Stelle ich markierte und wo noch nachgegraben werden müßte. Weiter ging es ein Grundstück weiter bei Manfred Lellig. Hier gab es einen weiteren Brunnen, eine Skelettortung und Mauern en gros.
Als wir zurück zu unserem Haus gingen und dann mit den Sonden ums Haus herum, zeichnete sich Verblüffen auf seinem Gesicht. Und als er mir seine Ergebnisse präsentierte, war das Verblüffen ganz auf meiner Seite. Danach sieht es so aus, als ob das Landhaus, das einst hier lag, riesig war, mindestens so groß wie die Villa von Borg oben bei Nennig am Dreiländereck. Und unser Haus steht genau mitten im rechten Risaliten, der linke befindet sich auf dem Grundstück Lellig, das Hauptgebäude steht bei Roger Berens, Familie Lauer und Familie Donie.
Plus der "Kleinkram" drumherum.
Quinto - die Flöte des Sevirus
Bei der ersten Grabung - am 15. Mai 2000 - fand sich beim Zumachen im Boden ein 20 cm langes Relikt, das zum Teil aus Metall, zum anderen Teil aus granithartem Schlamm besteht, beides wie verschmolzen aneinderhaftend. Ich traute mich nicht, auch nur einen Brösel davon abzuklopfen aus Angst, das ganze Ding würde sich in Wohlgefallen auflösen. Thomas Fontaine, Ausstellungsreferent am Rheinischen Landesmuseum Trier, vermutete, es könne entweder um ein aus zufällig zusammengebackenen Eisenteilen verschiedener Herkunft bestehen, wobei er auf den gut erkennbaren Nagel hinwies, oder um ein ursprünglich zusammenhängendes Eisenteil, das vielleicht einmal auf Holz genagelt war. Er riet mir, doch einfach mal bei meinem Hausarzt anzufragen, ob er es mal röntgen könne. Was für ein Idee, dachte ich, das Ding röntgen. Die lachen mich doch glatt aus. Weit gefehlt.
Dr. Ludwig Mennicke war begeistert, nahm das Teil mit Tüte und übergab es seiner Assistentin mit der Bitte, "den versteinerten Penis, den Herr Geiger da mitgebracht hat," unter den Röntgenapparat zu legen. Das tat sie auch, doch leider entsprach das Resultat nicht den Erwartungen. Denn das ganze Objekt erwies sich als massiv. Mehr kann auch durch die Maschine der Herren Doktoren Röntgen und Mennicke nicht sichtbar gemacht werden.
Aber den Versuch war es auf jeden Fall wert.
Sexto - unterm Balkon
In den 1960ern wurde unserem Haus an der Nordseite ein wunderhübscher, stilgemäßer Balkon, Marke "klobig und einfach", angehängt, der u.a. auch durch eine eigene Kabine das vor der Tür liegende Klo-Häuschen (das obligatorische mit dem Herz in der Tür) ersetzte. Der Balkon fiel im Frühjahr 2002 der Spitzhacke und einem Preßlufthammer zum Opfer, und unten drunter kam die langvermißte Klärgrube zum Vorschein, die wir kurzerhand leerpumpen ließen und kurzschlossen. Beim Kellerausbau hatten wir schon eine lange Leitung längs durch die Wiese laufen lassen - aus dickem Kunststoffrohr anstelle der alten gußeisernen. Interessanterweise stieß der Bagger, der den Graben aushob und unseren Garten verwüstete, nicht ein einziges Mal auf eine römische Mauer, obwohl ich sicher damit gerechnet hatte.
Als der Balkon weg und die Klargrube leer und wieder verfüllt war, stießen wir in der Wand unter der Küche auf Hohlräume, die unter die Küche führten. Jetzt haben wir aber den Keller nur vorn unterm Eßzimmer, nicht mehr unter der Küche. Wir öffneten die Wand und stießen auf einen fast vollständig zugeschütteten Brunnen, eine sog. "Pütz", wie sie jedes Haus früher hatte. Meine Neugierde war geweckt; langsam und vorsichtig wurden die Trümmer entfernt, Holzbalken, Erde, Steine, bis wir in etwa sechs Metern Tiefe auf Grundwasser stießen. Dort unten geht es momentan nicht mehr weiter, obwohl wir gerade dort auf die interessanten Schichten stoßen dürften. Denn die Hauswand über dem Brunnen zeigt eine deutliche Wölbung nach außen, als sei das Haus über dem Brunnen errichtet worden. Damit wäre er deutlich älter als das Haus, deutlich älter als zumindest 1686 (damals wurde das Haus nach dem Brand von 1677 wieder aufgebaut). Wieviel älter, das wollen wir noch herausfinden. Doch momentan haben wir mit unserem Fahrstuhl in die Vergangenheit das Erdgeschoß noch nicht erreicht.
Anstelle des alten Balkons bauten wir eine Veranda und setzten ein Anlehnhaus der bayerischen Firma Beckmann drauf - eine preisgünstige Alternative zu einem viel teureren Wintergarten. Als wir die Umfassungsmauer für die Veranda bauten, trafen wir beim Aushub des Grabens im oberen Bereich wieder auf eine Mauer in den bekannten Maßen, die direkt auf die alte Klärgrube zusteuerte. Sie ist immer noch da, wir haben sie in die Umfassungsmauer integriert.
Epilog
Daß alles so (oder so ähnlich) geschehen ist bei uns im Hof und ums Haus und halbwegs darunter, das weiß ich mit Bestimmtheit zu schreiben. Aber ob natürlich alles früher so war, wie ich mir das überlegt habe, das weiß ich nicht. Und da halte ich es mit unserem guten Friedrich Schiller in seinem Gedicht "An die Freunde"
"Leben, Freunde!
Es gab schönre Zeiten als die unsern - das ist nicht zu streiten!
Und ein edler Volk hat einst gelebt.
Könnte die Geschichte davon schweigen,
Tausend Steine würden redend zeugen, Die man aus dem Schoß der Erde gräbt.
Doch es ist dahin, es ist verschwunden, Dieses hochbegünstigte Geschlecht.
Wir, wir leben! Unser sind die Stunden,
Und der Lebende hat recht."
PS: Im Juli und August 2005 fand eine weitere Grabung auf unserem Gelände statt - natürlich mit voller Unterstützung des Konservatoramtes, das für die ganze Zeit eine Archäologin stellte.
Aber über dieses Joint Venture von fachlicher und privater Arbeitskraft - und seine Ergebnisse - das ist eine ganz andere Geschichte.