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20. Jahrhundert -> 1914 Der Großherzog von Oldenburg besucht das Fürstenthum Birkenfeld (Film)

Filmvorführung in Kusel war ein Hochgenuß

 

Kreissparkasse Kusel zeigte alten Dokumentarfilm von 1914

 

[25. Januar 2007]

 

 

"In St. Wendel kehrte ich in einem bescheidenen Gasthof am Marktplatz ein. Am nächsten Tag war Markttag. Blöken von Schafen, Gebrüll von Rindvieh, Schnattern von Gänsen, Gackern von Hühnern, Grunzen von Schweinen und lärmendes Geschrei von Händlern und Marktweibern weckten mich aus dem Schlaf. Ein so ländliches Bild hätte ich nicht erwartet." Mit diesen Worten beschreibt der junge jüdische Rechtsanwalt Max Bodenheimer seinen ersten Tag in St. Wendel im Früjahr 1889 in seinen Memoiren. Ein ähnliches Bild bot sich den Besuchern einer Filmvorführung in der Kreissparkasse Kusel in der vergangenen Woche.

 

Gezeigt wurde ein Dokumentarfilm aus dem Jahre 1914, gedreht anläßlich des Besuchs des Großherzogs von Oldenburg. Der Landrat Otto von Aschoff hatte den Film in Auftrag gegeben und auch bezahlt, aber die Übergabe vom Fotografen an den Landkreis ging in den Wirren des Ersten Weltkriegs unter. So blieb der Originalfilm im Besitz der Familie des Fotografen und wurde Ende der 1970er in letzter Minute kopiert. In letzter Minute im wahrsten Sinne des Wortes, denn kurze Zeit darauf löste er sich in Wohlgefallen auf, oder besser: in eine übel riechende Masse, die den ganzen Speicher des Hauses verpestete.

 

Diesen kurzen Abriß über die Herkunft und Geschichte des Films gab Helmut Käfer, der Chef der Kreissparkasse Kusel, in seiner Begrüßungsansprache. Die Kreissparkasse hatte den Film im Jahre 2005 von der Familie des Fotgrafen erworben und stellte ihn mit dieser Veranstaltung zum ersten Male seit seiner Herstellung einer breiten Öffentlichkeit vor.

 

Anschließend sprach der Historiker Roland Paul vom Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern. Er stellte die Personen vor, die damals maßgeblich am Entstehen des Films beteiligt waren: Friedrich August, Großherzog von Oldenburg; Otto von Aschoff, Landrat von St. Wendel, und natürlich auch Heinrich Schranz, den Fotografen. Außerdem ging er auf die territorialen Veränderungen im Westrich ein, die sich nach der Franzosenzeit ergaben (Preußen, Bayern, Coburg, Oldenburg, Hessen-Homburg).

 

Schranz stand damals ein Budget von knapp 900 Goldmark zur Verfügung (umgerechnet etwa 12.000 Euro). Damit drehte er mit einer Kamera einen Schwarz-Weiß-Film - natürlich ohne Ton - von immerhin 16 Minuten Länge. Der Landrat hatte ihm seinen Dienstwagen zur Verfügung gestellt, der des öfteren im Film zu sehen ist. Es war ein kirschroter Mercedes, der von Adam Dallinger gelenkt wurde, dem ersten und damals einzigen Chauffeur des Landkreises.

 

Der Film beginnt in St. Wendel, "wunderschön am Fuße des Bosenbergs gelegen". Schranz baute seine Kamera oben auf dem Wassersack auf und schwenkte langsam einmal über die ganze Stadt - von der Bahnhofstraße über die evangelische Kirche und die Obertreis-Schule hinauf zum Dom, an der Schaadt'schen Tabakfabrik und der Magdalenenkapelle vorbei bis hinauf zum Kappesbord. Kurz vorm Schmollschen Haus in der Balduinstraße endet der Schwenk notgedrungen, denn hier kamen ihm ein paar Bäume in den Weg. Die nächste Einstellung findet uns auf dem Schloßplatz, wo - das Rathaus immer im Hintergrund - der Viehmarkt gezeigt wird. Hier werden die damals typischen Glan-Kühe von ihren Eigentümern zum Verkauf angeboten. Direkt daneben steht der alte Kaiser-Wilhelm-Brunnen, der heutzutage oben am Wendelsborn im Bereich des ehemaligen RAD-Lagers vor sich hin zerfällt.

 

Jetzt beginnt die Reise des Großherzogs hinüber in die Pfalz in Richtung der Burg Lichtenberg - Berschweiler, damals Sitz der Bürgermeisterei, und dann Baumholder, wo die Ankunft der Kurgäste gefilmt wird. Hier wird deutlich, mit welchem Enthusiasmus Heinrich Schranz, der Fotograf, zugange war - und wieviel Spaß er bei der Produktion des Films hatte. Viele Sequenzen sind unfreiwillig komisch (oder vielleicht doch gewollt). Denn die Kurgäste sind samt und sonders Einheimische. Herausgeputzt im Sonntagsstaat gehen sie auf die Kamera zu und biegen kurz davor nach links ab, miteinander plaudernd und scherzend, erst ein paar, dann ein ganzer Schwung Leute, während die Dorfjugend vor der Kamera herumtanzt und diesen seltsamen Kasten und das kleine Männlein im langen weißen Mantel dahinter bestaunt. Überhaupt erinnert der Film sehr stark an die alten Dick-und-Doof- oder Buster-Keaton-Filme. Gedreht in Schwarz-Weiß und beim Abspielen eine Spur zu schnell. Und in der Mimik und Gestik den fehlenden Ton durch heftiges Schwenken der Arme, Beine und Köpfe mehr als ausgleichend. Und immer wieder komisch, wenn eine Einstellung nebendran geht und doch im Film belassen wird. Wenn etwa in Landrats Garten plötzlich der große schwarze Jagdhund auftaucht, mit einem toten Fuchs im Maul. Und der Herr Landrat persönlich im hinterherläuft und ihm den Kadaver abnimmt. Und dann wundert sich niemand mehr, wieso der Fuchs so steif ist - er ist ausgestopft.

 

Ein Abstecher führt dann zu einem der wichtigsten archäologischen Denkmäler der Region, zum Mithras-Denkmal bei Reichweiler/Schwarzerden.

 

Auf der Burg Lichtenberg wird der hohe Gast von den seinen Untertanen begrüßt. Die Höhere Mädchenschule tanzt und singt auf der Wiese einen Reigen, während die Turnergruppe der Jungen zusieht, jeder mit einer Maß Bier in der einen und einer dicken Zigarre in der anderen. Und wieder setzt sich Schranz kongenial in Szene - er läßt sich von zwei Dorfpolizisten verhaften und abführen. Und allen dreien macht das tierisch Spaß.

 

Weiter geht die Fahrt durch die schon lange nicht mehr existierenden Orte des heutigen Truppenübungsplatzes Baumholder und durch das Tal der Glan, bis sie in Idar-Oberstein, der "Perle des Nahetals" endet.

 

Die fast vierhundert Besucher der Filmvorführung genossen diese sichtlich, es gab schallendes Gelächter, verdutztes Schweigen und immer wieder Rufe des Erstaunens. Nach der Vorführung lud die Kreissparkasse in ihrer Schalterhalle zu einem opulenten Büffet ein und bot so den Besuchern Gelegenheit, das Gesehene zu verdauen und darüber zu sprechen.

 

Manch einem der Besucher aus St. Wendel mögen die anderthalb Minuten St. Wendel als "wenig" erscheinen und er mag sagen, daß sich die Fahrt nach Kusel deswegen nicht rentiert hätte, aber anderthalb Minuten, das sind auch 90 Sekunden. Und in dieser kurzen Zeit sehen wir ein St. Wendel, wie es heute nicht mehr existiert. Und Menschen aus unserer Stadt und unserer Region, deren Bild sich nur durch puren Zufall, eine Laune der Geschichte, bis in unsere Zeit erhalten hat und denen wir hier begegnen dürfen.

 

Allein das rechtfertigt den Besuch der Veranstaltung völlig.

 

Aufgrund der starken Nachfrage hat die Kreissparkasse Kusel einen zweiten Termin angesetzt, an dem Vortrag und Filmaufführung wiederholt werden: Donnerstag, 8. Februar, 19.30 Uhr, wieder im großen Sitzungssaal der Kreissparkasse. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Sitzplätzen ist eine Voranmeldung unerläßlich: Tel. 06381 / 911-0.

 

[Leider hat man danach nie wieder etwas von dem Film gehört; im Handel ist er nicht erhältlich.]

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