Bei’m Schnellphotographen in Berlin.
„Nun, meine Dame, treten Sie ein, lassen Sie den Kleinen ’mal für fünfzig Pfennige photographiren! Wenn er stirbt, dann haben Sie wenigstens ein Bild!“
Diese menschenfreundliche Aufforderung richtet die Besitzerin einer Bude – Verzeihung, eines Ateliers – für amerikanische Schnellphotographie in der Hafenhaide an eine Dame, die eben mit einem kleinen, blondhaarigen Burschen vorübergeht, dem die Lebenslust aus den Augen sprüht. Die Dame, die einen erschreckten Blick auf den Kleinen wirft, folgt dem verlockenden Rufen nicht, sondern geht weiter.
Die Besitzerin hat mittlerweile zwei Soldaten erspäht, die in einiger Entfernung vor der Bude stehen und ihr Portmonnaie auf seinen Inhalt prüfen.
„Nun, Herr Obergefreiter, ist’s gefällig? Sie wollen sich doch gewiss für’s Fräulein Braut photographiren lassen? Bitte, treten Sie näher, meine Herren. Sie bekommen hier nur ausgezeichnete Bilder, Sie brauchen keins zu nehmen, das Ihnen nicht gefällt! Bitte!“
Sie zieht den wettergeprüften Vorhang zurück, und die beiden Vaterlandsvertheidiger betreten das Innere der Bude, das sie mit neugierigen Augen mustern. An der Vorderwand, dicht an der geheimnißvollen Dunkelkammer, steht der Nährvater der Besitzerin, der Apparat. Daneben sitzt sperrbeinig auf einem wackligen Stuhle, die Arme auf der Lehne, eine Prenzlauer Havanna zwischen den Zähnen drehend, ein lockiger Jüngling in schwarz-weiß-karirtem Anzug, der überall die Spuren der Kunst in zahllosen Flecken trägt. Auch auf den Händen des Jünglings, die eine rothbraune Farbe zeigen, haben die photographischen Chemikalien eine gelinde Verwüstung angerichtet. Die Seitenwände der Bude sind mit Photographien geschmückt, auf der Hinterwand prangt eine kühn hingeworfene Landschaft. Auf einem kleinen runden Tisch sieht man ein paar leere Bierseidel, ein abgegriffenes rothes Buch und eine Kinderpeitsche. Der „Künstler“erhebt sich und begrüßt die Soldaten.
„Ah, meine Herren, Sie wollen sich abnehmen lassen? Sehr erfreut! Zusammen oder einzeln? Einzeln, sehr wohl! Da wollen wir mit Ihnen anfangen. Stellen Sie sich mal hierher. Das Bild soll schneidig militärisch werden. So, den Kopf nach hinten, den rechten Fuß vor, die Hände an die Nähte.“
„Na, das geit nich,“ unterbricht ihn der pommersche Füsilier, den Kopf krampfhaft in der vorgeschriebenen Lager haltend, „ick hew dor ein nigen Ringe an Finger –„
„Ah, sehr wohl, ich verstehe, der Ring soll sichtbar sein. Dann heben Sie die rechte Hand hoch, so, schieben Sie den Daumen in die Brust, nun ist er zu sehen, ein herrlicher Ring, hat gewiss seine 50 Mark gekostet!“
Unter den üblichen Winken und Ermahnungen geht die Abnahme vor sich.
Der wackere Pommer hat mit keiner Wimper gezuckt, aber ein Gesicht gemacht, als sollte ihm ein Zahn ausgezogen werden, und seine wasserblauen Augen haben sich so durchbohrend auf den Apparat gerichtet, daß jetzt die hellen Thränen in ihnen glänzen.
Nach wenigen Minuten ist das Bild fertig, und mit Künstlerstolz überreicht es der Jüngling dem Soldaten. Dieser unterzieht es mit seinem Kameraden einer genauen Prüfung, ein zufriedenes schmunzeln geht über sein Gesicht, aber plötzlich wird er stutzig und bricht in die Worte aus:
„Wat is’n dat! De Ring … de Ring sitt jo hier an mei linke Hand!“
„Ja, mein Verehrter!“ versetzt der Künstler mit überlegenem Lächeln, „das kommt daher, weil Sie hier das negative Bild haben“ – und dann folgt ein ausführlicher Vortrag über negativ und positiv, von dem der Pommer natürlich kein Sterbenswörtchen versteht.
„So …“ sagt er nachdenklich, „also dat mot sin?“
Der unwiderstehlichen Beredtsamkeit des geschäftsgewandten Jünglings gelingt es, die beiden jungen Krieger zu mehrmaliger Abnahme zu veranlassen. Nachdem sie dann auch noch die nothwendigen Rahmen zu den Bildern erstanden haben, ziehen sie mit ihren Schätzen ab. Draußen betrachten Sie Alles noch einmal zusammen und tauschen ihre Meinung über die Aehnlichkeit aus. Der Pommer klopft seinem Freund auf die Schulter und sagt mit verschmitztem Lächeln:
„Du, Krischen, hest’t hürt, he het min’ Ring up siestig Mark taxirt“ - und mit verliebten Blicken sieht er das Talmikleinod an, das er eine Stunde zuvor im Fünfzigpfennigbazar erstanden hat …
[Talmi: Modeschmuck, Etikettenschwindel]
Aus: Der Deutsche Correspondent, 16. Juli 1892, Seite 9