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Carl-Cetto-Straße und Wendalinusstraße

 

 

Die Geschichte zweier St. Wendeler Straßen

 

komponiert im Juni 2008

von Roland Geiger

 

Prolog

 

Limmelimmelimm ... limmelimmelimm ... Limmelimme – ja, hallo? –

Hallo, Roland, was macht denn dein Artikel? – Artikel? Was für'n Arti ... – Na, der über die Wendalinus- und die Carl-Cetto-Straße.

– Ach so, däääär. Ja, der ist pünktlich nächste Woche fertig. –

Nächste Woche? Hallo? Abgabetermin war gestern. –

 

Gestern? (Ach du dickes Ei. Da hab ich ja ne ganze Woche vergessen)

Ach ja, deeen Artikel meinst du. Ich hatte da was verwechselt (voll gelogen, aber hört sich gut an). Ei, da bin ich am letzten Schliff.

Jaha, schick ich dann rüber. Okähäi, tschühüss.

 

Ach du liebes bißchen – Wendalinus und Carl Cetto. So aus'm Ärmel schütteln geht da auch nicht. Eine der ganz alten Straßen und eine der jüngsten großen. Und was wollt ich nicht alles schreiben dazu.

 

Zum Bleistift die Frage stellen: was passierte vor 200 Jahren, wenn jemand durch den Südausgang des Doms gerannt wäre und direkt gegenüber die Carl-Cetto-Straße runter, dabei sein Tempo gesteigert hätte, was nicht verwunderlich gewesen wäre, denn da geht’s ja richtig steil runter? Was wäre geschehen, sobald er die Wendalinusstraße dort unten erreicht hätte?

 

Die Antwort ist geradezu einfach: Er hätte die Wendalinusstraße nie erreicht. Dafür gibt es zwei gute Gründe: Zum einen, weil er knapp unterhalb des heutigen Domhotels voll gegen die Stadtmauer geknallt wäre, die damals vermutlich noch stand. Zum anderen, weil es die Wendalinusstraße damals noch gar nicht gab.

 

Die Stadtmauer

 

Ja, die gute alte Stadtmauer. Erbaut etwa 1388, im Laufe der folgenden zwei- oder dreihundert Jahre ausgebaut und mindestens einmal im großen Stil erweitert. Als nämlich die Gegend um die Luisenstraße bis hinunter nach Kelzweiler (Achtung: im Gegensatz zum heute üblichen Kelsweiler schrieb man damals Kelzweiler noch mit "z"!) zur Stadt hinzukam, wurde die Stadtmauer, die damals in etwa die Häuser nördlich der Josefsstraße begrenzte, um etwa 100 Meter nach Norden verlegt. Jetzt standen die Häuser nördlich der Hospitalstraße gegen die Mauer. Im Westen hatte das zur Folge, daß sie in etwa dem Verlauf des Alten Woogs folgte, wenn sie diesen auch außen vor ließ. In einem Bogen führte sie unten um die Stadt herum und stieß am Ausgang des Grabens auf die Mauer der Burg. Damit war die Stadt zwischen 100 und 200 Meter tiefer geworden.

 

1674 wurde die alte Mauer von den Franzosen in die Luft gejagt und auf die Form von einzelnen kleinen Steinchen reduziert. Drei Jahre später mußte auch der Rest der Stadt dran glauben. Im 18. Jahrhundert wurde sie wieder errichtet und hielt auch bis Mitte des 19. wohl durch, obwohl sie immer unnötiger wurde und bestimmt nicht billiger in puncto Unterhaltung. Auf dem Urhandriß von 1843 ist sie gar nicht mehr zu sehen und allenfalls noch als Rück- oder Innenwand einzelner Häuser vorhanden. Oh bitte, kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Stückchen Leutveräppelung da oben hinterm Salon Bernhard. Wie oft soll ich denn die Geschichte noch erzählen, die Geschichte mit der Rückseite der alten Scheune, die man nicht abriß, sondern stehenließ, als Hohle Bierbrauerei dran glauben mußte.

 

Aber um 1800 war die Mauer noch dicke da. Sie entsprang am Ausgang der Mott zum Schloßplatz aus der Burgmauer, umschloß den Glockenhof, wie der Schloßplatz damals noch hieß, ließ ein kleines Tor am Ausgang der Schloßstraße zu, kümmerte sich nicht sehr um das heutige Rathaus 1, sondern führte dahinter parallel zur späteren Wendalinusstraße, aber halb am Hang hinauf zum Kappesbord, den sie aber nie erreichte, sondern vorher nach Norden abbog, um zum oberen Tor zu gelangen.

 

Der Garten der Familie von Stentz

 

Aha, werden Sie fragen, dann gehörte der schöne runde Torbogen hinterm Rathaus 1 wohl auch zur Stadtmauer? Ja, wenn das so einfach wäre. Nein, tut mir leid, aber der entstand erst, als die Mauer schon lange Geschichte war. Dieser Torbogen ist alles, was noch von einem großen Garten übrig ist, der quasi zwischen ehemaliger Stadtmauer und heutiger Wendalinusstraße bzw. sogar eher dem Bosenbach im Tal dahinter verlief, im Westen durch das Rathaus 1, im Osten durch die heutige Carl-Cetto-Straße abgegrenzt. Wobei der Bogen nicht direkt in den Garten, sondern auf den Hof hinterm Rathaus führt und führte, dem besagten Garten vorgelagert. Die beiden Häuser Wendalinusstraße 1 und 3 liegen voll in diesem Garten drin. Der Garten gehörte dem ursprünglichen Eigentümer des Rathauses 1 und wurde vermutlich bei dessen Erbauung mitangelegt.

 

Wie – wer hat das Rathaus gebaut? Na, hören Sie mal, ich muß doch wohl nicht bei Adam und Eva anfangen, da werden wir ja nie fertig. Okay, okay, nur nicht gleich frech werden.

 

Um das Jahr 1600 kam aus dem Raum Welschbillig eine Familie namens Hame und ließ sich in St. Wendel nieder. Binnen weniger Jahre schafften sie es, wichtige Positionen innerhalb der Verwaltung der Stadt zu besetzen. Kennen Sie den Unterschied zwischen Amtmann und Schultheiß? Der Amtmann war der Vertreter des Trierer Kurfürsten hier in St. Wendel und damit für all dessen Belange hier in St. Wendel und den umliegenden Ortschaften, soweit sie zum Amt St. Wendel gehörten, verantwortlich. Beschwerden über den Amtmann waren demzufolge direkt an den Kurfürsten zu richten, d.h. der Dienstweg schrieb den Weg über den Schultheiß zu. Der Schultheiß hatte in etwa die gleichen Pflichten wie ein heutiger Bürgermeister (dieses Amt gab es damals noch nicht, und als es später eingeführt wurde, hatte der Amtsinhaber eine ganz andere Funktion als heute). Bei Beschwerden über den Schultheiß wandte man sich gemeinhin an den Amtmann. Nun, die Hames schafften es ziemlich schnell, sowohl den Amtmann als auch den Schultheiß zu stellen   u n d   beide Posten in einer Position zu vereinigen. Eigentlich eine unmögliche Position, aber welch eine Macht. Einer aus diesem Hause, der tüchtigste, aber auch der mächtigste von allen, war Franz Ernst von Hame. Das Stammhaus der Familie in St. Wendel, die heutige Platane, wurde ihm zu klein, worauf er 1742 direkt unterhalb ein neues Domizil bauen ließ, das heutige Rathaus 1. Franz Ernst war clever. Er zog in den ersten Stock des Hauses und vermietete das Erdgeschoß kurzerhand an den Trierer Amtmann, von dem er natürlich die Miete kassierte (und der erhielt sie natürlich von der Regierung in Trier). Der Trierer Amtmann – das war er selbst. Damit war die Finanzierung und Unterhaltung des Hauses gesichert.

 

Im alten Stammhaus der Familie, der heutigen Platane, wohnten weiterhin Teile seiner Familie, u.a. seine Enkelin Anna Margaretha Josephina von Stentz. Der Garten gehörte ihrer Familie.

 

Oben rechts Nr. 1 ist die katholische Pfarrkirche, auch Basilika oder schlicht "Dom" genannt. Der Auswuchs nach unten ist der Südausgang mit dem Sendgericht. Er zeigt genau nach unten in die nördliche Carl-Cetto-Straße, die zwischen den Gebäuden 15 und 20 nach unten führt und bei Gebäude 16 vor dem Garten endet. Sehen Sie? Wie ich's versprochen habe. Der Garten selbst trägt die Nummer 18, genau wie der freie Platz links davon (das ist übrigens heute Bürgermeister's Parkplatz), das Gebäude links vom freien Platz (heute Rathaus 1), dem kleinen Platz darunter (äh, der Bürgersteig unterhalb des Rathauses) und dem länglichen Gebäude mit der Ausstülpung nach unten (da war vor 1818 der St. Wendeler Knast drin, bevor er hinauf in die Marienstraße verlegt wurde; heute befindet sich dort der freie Platz zwischen Rathaus 1 und der Wendalinusstraße).

 

Der-Himmel-sei-gepriesen (hört sich doch auch gut an, mal was anderes als "Gott sei Dank") gibt es auch eine Legende zu diesem Plan. Dort steht, daß Nr. 18 die " Kurfürstliche Kellerey" ist. Das ist die Verwaltungsbehörde, der der Amtmann vorsteht. Ha, wenn Sie genau hinsehen, dann können Sie am oberen linken Ende des freien Platzes 18 an der Grenze nach 11 – das ist "das Höfgen zwischen dem von Hamishen Haus und der Kellerey" – einen kleinen Durchgang erkennen. Das ist der Torbogen, der heute noch steht. Und noch etwas sieht man sehr deutlich: Auf dem freien Platz sehen Sie die Ziffer "18", rechts daneben einen kleinen schwarzen Punkt. Dort hat damals der Amtmann seine Dienstkutsche abgestellt, heute steht dort der Dienstwagen unseres Bürgermeisters. Dazu sagt unser guter alter Schiller: "Alles wiederholt sich nur im Leben, neues hat die Sonne nie gesehen." (oder so ähnlich)

 

Okay, zurück in die Carl-Cetto-Straße, die noch nicht so heißt, weil der gute Carl Cetto zu diesem Zeitpunkt noch die Windeln vollmacht. Dafür wird man später keine Straße nach ihm benennen.

 

Das rote Haus

 

Das Gebäude oben links mit der Nummer 15 besteht um 1800 eigentlich aus zwei Häusern. Das linke wird 1786 bewohnt von Catharina Tholey, Witwe des Gerbers, Krämers, Hochgerichtsschöffen und Tuchmachers Anton Zängerle aus Fliersch in Tirol. Ihr Sohn Franz, Wollweber von Profession, verkauft das Haus 1821 an den Rotgerber Peter Keller aus St. Wendel. Der hat ein halbes Jahr zuvor das Gasthaus auf der Ecke von Wendel Haßtenteufel gekauft. Aus dem Rotgerber wird jetzt ein Gastwirt, der in einem Hintergebäude, das heute über dem ehemaligen Hambacher Keller zu finden wäre, sein Bier selber braut. Elf Jahre später trafen sich just in dieser Wirtschaft vier honorige Leute aus St. Wendel, ein Notar, ein Kaufmann, ein Schullehrer und ein Rechtsanwalt. Sie tranken einiges und hielten sehr gelehrte Reden.

 

Und am nächsten Morgen machten sie sich auf in die Pfalz, wo auf dem Hambacher Schloß das gleichnamige Fest stattfindet. Der Advokat hielt sogar noch eine zündende Rede auf dem Hambacher Fest. Nach ein paar Tagen – den Kopf voller wirrer Ideen à la "Demokratie" kamen sie wieder nachhause. Ihr erster Gang führte sie zum coburgischen Regierungspräsidenten unten im heutigen Rathaus 1. "Sie, Herr Präsident" sagten sie ihm, "Sie können weiterhin die notwendigen Entscheidungen treffen, aber wir – wir werden jetzt mitreden." Holla, war der begeistert. Die Herren und eine große Menschenmenge, die sich mittlerweile angesammelt hatte, zogen auf den Bosenberg, hauten einen Baum um und schleppten ihn in die Stadt, wo sie ihn vor der Kneipe von Peter Keller aufpflanzten und bunte Fähnchen dranhängten. Einen Freiheitsbaum nannten sie das. Dem Präsidenten unten im Rathaus 1 wurde es zu bunt, er schickte Boten aus, die preußisches Militär aus Saarlouis und Saarbrücken um Hilfe baten. Als die Truppen eintrafen, betraten sie die Stadt durch das untere Tor (Ecke Luisen- in die Brühl- und Kelsweilerstraße). Doch als sie vorn um den Dom drehten, war der Baum weg. Also drehten sie wieder rum und zogen von dannen. Und als sie unten vor das Tor kamen, da stand der Baum schon wieder. Da wußten die Coburger, was es geschlagen hatte, und schauten zu, daß sie St. Wendel und das Fürstentum Lichtenberg, von dem es die Hauptstadt war, so schnell wie möglich los wurden. Die Kellersche Wirtschaft heißt seitdem "das rote Haus"; das hat also nix mit der Farbe zu tun, in der es mag angestrichen sein, sondern weil sich hier erste zarte Demokratie-Triebe in St. Wendel zeigten.

 

Das Haus gegenüber - was? Wie? Nicht? Oh.

 

Ich hab grad vom Katasteramt erfahren, daß die beiden Häuser ganz oben (Nr. 15 und 20) gar nicht zur Carl-Cetto-Straße gehören, die liegen heute in der Balduinstraßevb. Äh, ja, außer dem unteren Teil der Nummer 15, das ist heute Carl-Cetto-Straße 2. Dort ist heute der ehemalige Hambacher Keller drin, also ist die Geschichte nicht umsonst erzählt worden.

 

Ihr gegenüber in dem langen querlaufenden Gebäude betrieb Johann Wassenich seine Schäferei. Heute ist dort übrigens das Domhotel drin. Und das hat seine ganz eigene Geschichte. Oh, Sie haben einen Moment Zeit? Das ist gut, dann spitzen Sie mal die Lauscher.

 

 

Die erste katholische Scheidung in St. Wendel

 

Der Bäcker Johann Wassenich, geb. 1840 in St. Wendel, ein Urenkel des gleichnamigen Schäfers, hat am 19. Mai 1863 die fünf Jahre ältere Anna Maria Scheffler vom Winkenbacherhof geheiratet. Im Januar 1865 ist noch alles in Ordnung, da beschenken sich die Eheleute – vermutlich weil keine Gütergemeinschaft vereinbart war – gegenseitig mit ihren Anteilen an Haus und Möbeln für den Fall, das einer vor dem anderen stirbt. Doch keinen Monat später geschieht etwas, daß der Verhältnis der beiden Eheleute auf eine harte Probe stellt: Am 17. Februar stirbt ihre Tochter Maria, sie wird grad acht Monate alt. Im Spätsommer des gleichen Jahres zerbricht die Beziehung. Zunächst macht er am 17. August die Schenkung vom Januar rückgängig und geht dann gar noch einen Schritt weiter:

"Vor dem unterschriebenen Bürgermeister erscheint: Johann Wassenich, Bäcker und Wirth in St: Wendel, Ehemann von der dahier ohne Stand wohnenden Maria Scheffler, mit dem Vorbringen: Ich bin gesonnen nach Amerika auszuwandern. Meine Frau wird einstweilen hier bleiben, Kinder habe ich keine. Die Ursache meiner Auswanderung ist, weil ich mich hier nicht füglich zu ernähren vermag, in dem alle Geschäfte, die ich antreibe, nicht gehen oder nicht den nöthigen Vortheil gewähren. Ich stehe in keinem militärischen Verhältnisse mehr."

 

Später wolle er seine Frau zu sich nach Amerika kommen lassen, während jetzt für die Zurück bleibende hinlänglich in Betreff des Unterhalts gesorgt sei . Sein Antrag wird genehmigt, doch in die Reisevorbereitungen hinein stellt sich heraus, daß Anna Maria wieder schwanger ist. Johann sagt seine Reise ab. Am 10. März 1866 wird ihr Sohn Johann Heinrich geboren. Das Ehepaar arrangiert sich irgendwie und versucht, sein Leben gemeinsam weiterzuführen. In den Jahren 1869 bis 1871 kauft Johann mehrere Parzellen am Ende der Schäferei zur heutigen Carl-Cetto-Straße zu und erbaut darauf ein Wohnhaus mit Scheune, in dessen Untergeschoß er eine Gastwirtschaft betreibt.

 

Doch die Geschichte hat kein Happy-End: Sieben Monate später erneuert Johann seinen Antrag auf Auswanderung, diesmal will er seinen Sohn mitnehmen. Am 1. Oktober 1873 erhält er einen Reisepaß, ausgestellt auf ein Jahr, der es ihm erlaubt, zusammen mit seinem Sohn Johann nach Amerika zu reisen. Wiederum bleibt Johann im Lande, ohne daß wir erfahren, was ihn hiergehalten hat. Jetzt geschieht etwas für das katholische St. Wendel völlig Neuartiges. Die Ehefrau beruft sich auf die Möglichkeiten des Code Civil, der bei uns als Vorläufer des Bürgerlichen Gesetzbuches seit dem Ende der französischen Revolution Geltung besaß und sowohl von den Coburgern als auch später den Preußen anerkannt wurde. Sie reicht die Scheidung ein. Die zugehörigen Akten haben die seitdem verstrichene Zeit nicht überstanden, so daß wir über die genauen Gründe und den Hergang nichts wissen. Mit der Aufteilung des Vermögens, das samt und sonders versteigert wird, beauftragt man den Notar Keller aus St. Wendel. Er schreibt am 22. Dezember 1874: "Auf das Wassenich'sche Vermögen wurde das Siegel gelegt. Heute wird ein Inventar darüber angefertigt."

 

Die nachfolgende Inventur - also eine exakte und detaillierte Aufnahme des kompletten beweglichen Mobiliars - gibt einen überaus interessanten Einblick in die Vermögensverhältnisse und Lebensumstände einer mittelständischen Kaufmannsfamilie des späten 19. Jahrhunderts in St. Wendel, vor allem, da die einzelnen Objekte von einem unabhängigen und vereidigten Sachverständigen wertmäßig genau eingeschätzt wurden. Es geht los mit einem zweitürigen Kleiderschrank, der auf stolze 12 Thaler geschätzt wurde, über zwei Vorhänge mit Stangen für 1 Thaler 15, einem Gewehr und einem Revolver zum gleichen Preis, einem Gebetbuch für 5 Groschen und anderes mehr. Bei der Versteigerung am 3. Mai 1875 fällt auf, daß viele Gegenstände von der zukünftigen Ex-Frau selbst gesteigert werden, der außerdem im Haus ein Wohnrecht zugestanden wird. Das Scheidungurteil wird am 22.07.1875 durch das Königliche Landgericht zu Saarbrücken gesprochen.

 

Am 15. November 1875 wird Wassenich festgenommen - wegen Mordversuch. In der Nahe-Blies-Zeitung des folgenden Tages steht, was geschehen ist: "Gestern Nachmittag spielte folgende Scene in hiesiger Stadt. Ein gewisser Waßnich, welcher mit einer Scheffler vom Schefflershof verheirathet, lebte schon mehrere Jahre auf sehr schlechtem Fuße mit seiner Frau und so verließ er Anfangs dieses Jahres seine Frau mit seinem 10jährigen Jungen, um nach Amerika auszuwandern, am letzten Donnerstag Abend kehrte er plötzlich zurück, logierte sich im Schwanen hier ein, verkehrte aber in der Wirthschaft, welche in seinem frühern Hause betrieben wird, in welchem auch seine Frau wohnt; gestern Nachmittag gegen 4 Uhr fielen rasch hintereinander mehrere Schüsse in dem Hause, als man nachsah hatte der Unhold dieselben auf seine Frau, welche durch den Hausflur ging, abgefeuert. Dieselbe ist zwar verwundet, aber wie man hört nicht lebensgefährlich, gleich nach der mörderischen That hat sich der Missethäter wieder ruhig in die Wirthschaft gesetzt, als wenn nichts passiert wäre und weiter getrunken, bis nach einer halben Stunde die Polizei kam und denselben nach dem Gefängnis abführte."

 

Die Voruntersuchung findet am Königlichen Appellations=Gerichts=Hof in Köln statt, die Wassenich zur Hauptverhandlung nach Saarbrücken verweist. Dort findet die ganze Sache am 7. Februar 1876 ein trauriges Ende. Wieder erfahren wir alles aus der Nahe-Blies-Zeitung jenes Tages:

"Der im hiesigen Justizarresthause seiner demnächstigen Aburtheilung vor den Geschworenen entgegensehende Deutsch-Amerikaner, J.W, Bäcker aus St. Wendel, beschuldigt des Mordversuchs an seiner Ehefrau, hat sich der irdischen Gerechtigkeit durch Selbstmord entzogen. Gestern Abends 6 Uhr machte er noch einen Fluchtversuch, indem er dem die Thüre öffnenden Gefangenenaufseher eine Hand voll Sand in die Augen warf und sich des Schlüsselbundes zu bemächtigen suchte. Durch den energischen Widerstand des seinen Säbel ziehenden Beamten, sowie durch das Erscheinen eines zweiten Aufsehers wurde die Absicht des Gefangenen indessen vereitelt. Um 9 Uhr (abends) fand man ihn mittelst zweier zusammengeknüpften Handtücher an dem Gitter seiner Zelle erhängt."

 

Der Direktor des Gefängnisses namens Stolte berichtet weiter: "Der Vorfall ist von den 2 anderen in der selben Zelle schlafenden Gefangenen sofort bemerkt und durch den Nachtaufseher mir unmittelbar darauf gemeldet worden; die sogleich angestellten Wiederbelebungsversuche und die alsbald zugezogene ärztliche Hülfe blieben trotzdem gänzlich erfolglos."

 

Johann Wassenich wird in Saarbrücken begraben, seine Exfrau nennt sich jetzt "Witwe Johann Wassenich". Sein Sohn Johann wird erfolgreich im St. Wendeler Tabakgeschäft; er stirbt 1916 an Hautkrebs. Sein Sohn Heinrich Johann Maria Victor Wassenich liegt lange vor Verdun in Stellung. Nach dem Krieg kehrt er nicht mehr nach St. Wendel zurück, sondern zieht nach Bonn, dem Geburtsort seiner Mutter. Seitdem gibt es den Namen Wassenich nicht mehr in St. Wendel.

 

Dafür beherbergt das Gebäude heute das Domhotel mit seinem empfehlenswerten griechischen Restaurant "Dyonisos" (dessen Betreiber, das Ehepaar Prinz, übrigens ein guter Beweis dafür sind, daß es auch anders geht: sie sind 34 Jahre glücklich verheiratet!). Der Wintergarten ist die ehemalige Wassenich'sche Scheune, später die Tabakfabrik von Johann Wassenich junior.

 

Genau gegenüber des Domhotels steht ein altes Wohnhaus, das die jetzigen Eigentümer, die alte St. Wendeler Kürschnerfamilie Ehrhardt, 1991 stilgerecht saniert haben. Auf der alten Karte ist es die Nr. 19: "Herrn Schöffen Demuths Scheuer". Gemeint ist der Gastwirt Wendel Demuth, der in der Balduinstraße 4 (später Kocklers Gastwirtschaft "Krone", heute "Tässje") seine Gastwirtschaft betreibt.

 

Durch die Mauer

 

Es wird Zeit, daß wir die alte Karte von knapp 1800 ein bißchen überspringen. Müssen wir auch, sonst wird hier nie Feierabend. Der Garten unterhalb wird im 19. Jahrhundert peu-a-peu verkauft und zugebaut. Das lange Stück unterhalb von Wassenichs Gastwirtschaft gehörte ursprünglich dem Herrn Carl Cetto, eben jenem, nach dem die Straße benannt ist. Im November 1846 schenkt er sein Grundstück teilweise an die Stadt, damit diese das Gäßchen nach unten verlängern kann. Als dies im Jahre 1855 geschieht, wird die Straße zu Ehren des Schenkenden Karlsstraße und später Carl-Cetto-Straße genannt. Den anderen Teil seines Grundstücks verkauft Cetto an den Herrn Doctor Hans Carl Brauneck, Kreisphysikus und praktischer Arzt in St. Wendel, der 1869 an der Ecke Carl-Cetto-Straße und Wendalinusstraße ein großes Haus errichtet. Als die Amerikaner im März 1945 St. Wendel besetzen, bezieht der Stadtkommandant Jacobs in diesem Haus Quartier. Heute beherbergt es die Praxis von Matthias Buchheit (Wendalinusstraße 3).

 

Tabak Schaadt

 

Gegenüber in der Carl-Cetto-Straße, die früher übrigens auch ganz offiziell einfach nur "Karlsstraße" genannt wurde, errichtete Peter Schaadt Ende des 19. Jahrhunderts seine Tabakfabrik. Über die lange Geschichte dieser Firma wie auch über die der anderen Tabakfirmen wie Marschall und Kockler hat Raimund Fuchs im Heimatbuch des Landkreises St. Wendel 1983/1984 lang und breit geschrieben, und auch als bekennender Nichtraucher ist der Artikel ein Lesegenuß. Fragen Sie einfach in der Stadt- und Kreisbibliothek im Mia-Münster-Haus nach, die haben das Buch auf jeden Fall. Die alte Tabakfabrik erstreckte sich von der Carl-Cetto-Straße bis zum Ende des alten Gartens, endete also quasi vor dem Standort der ehemaligen Wendalinusapotheke. Sie wurde in den 1990ern dem Erdboden gleichgemacht, an ihrer Stelle stehen heute die mächtigen Gebäude, die unter anderem das Arbeitsamt beherbergen. Kurios: dort arbeiten ehemalige Vertreter für Haustürklinken. Ja, ohne Witz: der Hauptspruch meiner Kontaktperson vor vier Jahren war: "Oh, tut mir leid, da muß ich mich ausklinken." Den brachte sie immer, wenns kompliziert wurde. Kam vor allem gut, wenn ich kurz vor dem Ausrasten war.

 

Ha, jetzt mache mir das ganz geschickt und wenden uns Richtung Schloßplatz. Dort steht als Wendalinusstraße 1 ein großes gelbes Haus mit einem großen Erker in der Ecke zum Schloßplatz hin, von dem aus man sicher einen trefflichen Ausblick auf denselben hat.

 

Schloßplatz 1

 

Das Grundstück gehörte ursprünglich ebenfalls zu dem Stentz'schen Garten. Auf dem Plan ist es die linke untere Ecke. Carl Cetto versteigerte es im Jahre 1830, den Zuschlag erhielt der damalige Kreisarzt Dr. Gustav Schwalb. Seine Erben ließen es ebenfalls versteigern, diesmal war Josef Lauer der Glückliche, der den Zuschlag erhielt. Seine Tochter Anna, geb. 1870, heiratete den St. Wendeler Kaufmann August Back, geb. 1865, der in den 1890er Jahren dieses prächtige Wohnhaus errichtete. Seinen Nachkommen gehört es heutzutage immer noch.

 

Die Adresse im Jahre 1900 war aber nicht "Wendalinusstraße 1", denn es gab noch keine Wendalinusstraße. Na gut, Sie haben recht, so ganz stimmt das nicht. Der Name " Wendalinusstraße" gab es schon, aber nur für das Stück oben vom heutigen Sozialpflegerischen Berufsbildungszentrum bis hinunter zur Werschweilerstraße. In die andere Richtung gab es damals eine halbwegs ausgebaute Straße nur bis zum Fuß des Hanges, etwa in Höhe der Glaserei Sommer. Dieses Straßenstück trug den seltsamen Namen "Kappusbord", und Sommer war die Nummer 1. Doch dazu später mehr. Das Stück zwischen Sommer und unserem Haus Back war nur eine lange sumpfige Wiese.

 

 

Schräg gegenüber liegt die evangelische Kirche, aber die gehört in die Bahnhof-, ggf. noch in die Beethovenstraße, da muß ich bei Gelegenheit mal den Superintendenten Gerhard Koepke fragen. Aber direkt links davon steht das heutige Rathaus 2. Dieses Gebäude wurde in den 1860ern errichtet und diente parallel zur Magdalenenkapelle als katholische Volksschule. Um die Jahrhundertwende (19tes ins 20te) erkannte man, daß beide Schulen zu klein und die Trennung unpraktisch wurde. Deshalb wurde um 1910 als Ersatz die Nikolaus-Obertreis-Schule errichtet. Hier an der Schule am Schloßplatz unterrichtete 1910 der Lehrer Friedrich Stoll aus Barmen und 1911 der Oberlehrer und Professor Gustav Schmitt, der in der Schule seine Dienstwohnung hatte, und die Lehrerin Maria Steinbach, die in der Balduinstraße 38 wohnte.

 

Der Stellmacher

 

Wir wenden uns wieder nach Osten und wandern zur Kreuzug Wendalinusstraße und Carl-Cetto-Straße vor. D.h. eigentlich gibt’s diese Kreuzung jetzt noch nicht, denn die Wendalinusstraße gibt’s ja auch noch nicht. Trotzdem steht auf der Ecke zum Schloßplatz hin ein Haus, das die Bezeichnung "Schloßplatz 1" trägt. Hier wohnte der Wagner Johann Lauer aus St. Wendel mit seiner Ehefrau Katharina Ost aus Alsfassen und seinen drei Kindern. Er hatte im Jahre 1861 die Erlaubnis erhalten, in seinem Garten im Kappesbord ein Wohnhaus mit Werkstatt zu errichten.

 

Ein Wagner, im Norden auch Stellmacher genannt, war ein Handwerker, der Wagen und andere landwirtschaftliche Geräte aus Holz herstellte. Im Eisenbahnboom des späten 19. Jahrhunderts waren die Fertigkeiten der Wagner als Waggonbauer begehrt. Ihre Kenntnisse benötigte man später auch im Karosseriebau der Autohersteller.

 

Im gleichen Gebäude, natürlich umgebaut, finden sich heute das Restaurant "Palme", der An- und Verkaufladen und die Wendalinusschenke. In der Wendalinusschenke sind ein paar schöne alte Fotos aus der Anfangszeit des Gebäudes bzw. aus der Stellmacherwerkstatt der Familie Lauer zu sehen.

 

Ich schlage vor, Sie gehen einfach mal dort rein, nehmen sich ein Glas Bier oder Wein zur Hand und schauen sich in aller Ruhe die Fotos und Urkunden an der Wand einmal an. Glauben Sie mir, es lohnt sich. Die eigentliche Werkstatt war übrigens im linken Teil, dort wo heute Meister Klees seinen Second-Hand-Laden betreibt.

 

… vor schlechten Literaten!

 

Wieder geht es um die Ecke, und wieder sind wir in der Carl-Cetto-Straße.

 

Hinter der Werkstatt des Wagenbaumeisters Lauer liegt der Betrieb des Buchdruckers Ernst Müller. Im Spätsommer 1879 gründete der Wirt Michael Gerber als gelernter Buchdrucker oben in der Balduinstraße (heute Simon) eine kleine Buchdruckerei und begann mit der Herausgabe des "St. Wendeler Volksblatt"es. Es erschien zweimal wöchentlich und kostete 1 Mark pro Quartal - die Auflage betrug etwa 250 Exemplare. Es schlug sich tapfer gegen seine große Konkurrenz, das Kreisblatt "Nahe-Blies-Zeitung". Nach Gerbers Tod führte sein Sohn Johann Gerber, gelernter Eisenbahnerkmeister, die Druckerei noch eine Zeitlang weiter, doch 1884 verkauften er und seine Geschwister Unternehmen und Blatt an den ehemaligen Uhrmacher Karl Müller. Dieser änderte die Erscheinungsweise auf dreimal wöchentlich und gab die Schriftleitung in die Hände seines Sohnes Max Müller, unter dem das Blatt seinen lokalen Charakter erhielt. 1898 hatte der jüngste Sohn der Familie, Ernst Müller, seine Ausbildung als Buchdrucker und Buchhändler in Trier, Mainz und Kassel vollendet und übernahm den väterlichen Betrieb.

 

 

Leicht hatte er es nicht; als er Anfang 1899 in einem Artikel die Politik der städtischen Verwaltung kritisierte, sperrte man ihm mit Beschluß der Stadtverordneten vom 7. November  die städtischen Druckaufträge. Aber Müller ließ sich davon nicht irritieren, sondern machte weiter. Im Gegenteil: der Bürgerschaft gefiel die Vorgehensweise der Stadt überhaupt nicht, und die Abonnentenzahlen stiegen an. 1907 baute Müller das Anwesen in der Karlstraße und verlegte die Firma hierher. Nach seinem vorzeitigen Tod am 5. Februar 1917 übernahmen seine Geschwister das Geschäft, das 1929 sein 50-jähriges Bestehen feierte. Auch heute erfüllt das Haus noch diesen Zweck: es beherbergt die St. Wendeler Druckerei.

 

An der Fassade war eine sehr sinnreiche Inschrift angebracht:

 

"Gott bewahr' dies Haus der Kunst

Mit seinen Bleisoldaten

Vor Kastenkobold, Feuersbrunst

Und schlechten Literaten."

 

Der eingesperrte Bach.

 

Unmittelbar hinter dem Druckereigebäude überquert die Straße einen kleinen Bach, von dem heutzutage fast jede Spur verschwunden ist - aber wenn er sich mal bemerkbar macht, dann richtig. Der Bosenbach entspringt oberhalb der Wendalinuskapelle unterhalb des Paterhofes (auch Cettos Hof, Wendalinushof, Wendelinushof und Langenfelderhof genannt). Er passiert besagte Kapelle und verschwindet dann bis kurz vor seiner Mündung in die Blies in der Versenkung. Nun mag das Rohr, durch das er fließt, für 1930er Verhältnisse, als man es verlegte, geräumig genug gewesen sein. Aber seitdem sind entlang seines damaligen und natürlich auch heutigen Verlaufs ein paar Häuser dazu gekommen, die alle ihre Abwässer in dieses Röhrchen stopfen. Und kommt dann noch starker Regen dazu, dann kommt es bisweilen vor, daß das Rohr voll ist. Da aber Wasser die unangenehme Eigenschaft hat, im Falle, es auf ein Hindernis stößt, sich selbst einen Weg zu suchen, tut es dies auch; die Bewohner der Häuser am unteren Bosenbach kriegen die Exkremente dann im wahrsten Sinne des Wortes ab, wenn das rückstauende Wasser durch die Toiletten oder andere Öffnungen wieder zum Vorschein kommt und alles landunter setzt, das sich füllen läßt. Mancher Bewohner oder Firmeninhaber gerade des südlichen Ufers der Bahnhofstraße mag ein Liedchen davon singen, wenn's ihm danach sein sollte.

 

Der Bosenbach erreicht unterhalb der Kapelle das Tal, das seinen Namen trägt: "die oberste Bosenbach". Es reicht vom Cusanus-Gymnasium bis etwa unterhalb des Sozialpflegerischen BBZ. Der Bach in seinem Führungsrohr folgt der Missionshausstraße bis zum Ende des Kirmesplatzes und biegt dann unter den ersten Häusern nach links ab, bis er vor der ehemaligen Tankstelle auf die Werschweilerstraße trifft. Hier gab es früher einmal eine kleine Straßenbrücke, die bis vor ein paar Jahren noch in Rudimenten erkennbar war. Der Bach im Rohr verläuft jetzt genau im Tal zwischen der oberen Balduinstraße und der Gymnasialstraße; b hier heißt die Gemarkung "Unterste Bosenbach". Am "Kabbesboard" vorbei geht es weiter Richtung Beethovenstraße, die er zwischen evangelischer Kirche und Gymnasial-straße unterquert. Auf der anderen Seite geht es richtaus unter dem Park durch bis zur Blies, dort mündet das große Rohr.

 

In der Beethovenstraße gab es früher ebenfalls eine kleine Straßenbrücke (19. Jahrhundert), aber geht man nochmal 100 Jahre oder mehr zurück, da war diese gar nicht vonnöten, denn hier gab es noch keine Fahrwege, die den Bach hätten überqueren können. Der drehte das Wasserrad einer kleinen Mühle, die der Stadt gehörte, schlug um den heutigen Schloßplatz herum einen Bogen in die Mott hinein und kehrte in einem weiten Bogen wieder Richtung Süden zurück. Etwa in Höhe des heutigen Modehauses Werner Wagner traf er auf die Blies und half ihr, die drei Wasserräder der Niederweiler Mühle mitanzutreiben, die dort unterschlächtig in der Blies saßen. Lange her.

 

 

Am Ende der Karlstraße linkerhand steht das Haus Scherer mit einer Front schon zur Gymnasialstraße. Im Sommer 1924 wurde diese Aufnahme geschossen und auf Glasplatte gebannt.

 

 

Wir haben den Bosenbach erneut überquert und sind zur Wendalinusstraße zurückgegangen, in die wir jetzt stadtausgangs einbiegen. Links gegenüber liegt immer noch die Tabakfabrik Schaadt und ihr Nachfolgerbau mit Versicherung und Arbeitsamt. Hier zur rechten wird um 1910 das erste Wohnhaus durch den Lokomotivführer Peter Carl Munkes errichtet. Es trug die Bezeichnung Kappespfad 2.

 

Kappesbord - Kappespfad.

 

Da ist das Wort schon wieder, und jetzt wird es Zeit, es zu erklären.

 

Altbürgermeister Carl Cetto war durch geschicktes Manövrieren - das konnten die Cettos immer gut - in den Besitz des Geländes unterhalb der alten Stadtmauer gelangt. Dieser Bereich wurde "Kappesbord" (= Kappesbeet) genannt und umfaßte das Gelände beidseits der heutigen Wendalinusstraße bis hinauf zur Einmündung der Balduinstraße. Er verpachtete die Kappesborde an die St. Wendeler Bürger, die damit direkt vor den Mauern der Stadt ihre kleinen Schrebergärten anlegen konnten. Am 2. März 1864 ließ Cettos Sohn Karl über seinen Gewährsmann Jakob Beilstein, der für ihn alle Geschäfte in St. Wendel abwickelte die Kappesborde, aufgeteilt in 70 Einzelparzellen, öffentlich versteigern.

 

Eines der ersten Häuser, das danach gebaut wurde, war das Wohnhaus des Schreiners Mathias Engels. Er stellte seine bescheidene "Hütte" unmittelbar hinter die Stadtmauer. Über den jüdischen Handelsmann Wilhelm Kahn kommt das Haus 1887 an den Glaser Michel Sommer, nach dessen Enkel Tod das Haus vor ein, zwei Jahren an den Bestatter Peter Steffeck aus Baltersweiler kam (Kappespfad 2). Im Jahre 1914 baute ihnen gegenüber Julius Heinrich, Geschäftsführer der Baufirma Krumpen, sein Wohnhaus mitten in die Gartenlandschaft hinein. Es war das zweite Haus auf dieser Seite und wohl der Startschuß für etliche andere, die das Gelände zwischen Karlsstraße und ihm systematisch zubauten.

 

 

An der Einmündung in die Balduinstraße (so heißt die Straße, die parallel zur Wendalinusstraße verläuft, aber auch die meisten der kleinen Gäßchen, die von ihr nach Süden laufen - abgesehen von der Carl-Cetto-Straße; so heißt auch die Verbindungsstraße am Trierischen Hof hinunter auf den Kappesbord) liegt der Trierische Hof.

 

Nur noch ungefähr erkennt man die alte Form. Der Trierische Hof war tatsächlich wie ein breites U angelegt, dessen Öffnung nach Osten (hier nach rechts) zeigte, wobei die Öffnung bis auf eine schmale Lücke in der Mitte durch Gebäude geschlossen war. Das Gebäude rechts unten, in dem in den 1960ern das erste Asko-Geschäft in St. Wendel eröffnete, war Teil des Außenrings des Trierischen Hofs. Das unmittelbar links anschließende zweistöckige Haus gehörte nicht mehr dazu; Eigentümer des Gebäudes (Kappespfad 9) war 1913 der Bierbrauer Carl Trost (Balduinstraße 72).

Die obere Wendalinusstraße.

 

Ab hier bis zur Werschweilerstraße verlief die bis etwa 1910 eigentliche Wendalinusstraße. Deren Nummerierung änderte sich allerdings mit der Erweiterung der Straße über den Kappespfad hinaus bis zum Schloßplatz, weshalb die Hausnummern von 1900 und 1910 nicht mehr mit den heutigen übereinstimmen.

 

Die Hanglage auf der rechten, also der südlichen Seite, zwischen Straße und Bosenbach trägt den Flurnamen "Kegelgarten". Das erste Haus auf dieser Seite war das zweitletzte in der Reihe. Es wurde vor 1843 von Nikolaus Blum, Chaussee-Aufseher in St. Wendel, und seiner Ehefrau Franziska Gunther erbaut. 1900 wohnt hier Barbara Blum, die Witwe von Johann Josef Riotte. Die Anschrift ist Wendalinusstraße 12. Die gleiche Anschrift gilt auch noch 1933. Aber heute nicht mehr, das Haus ist entweder 34 oder 36.

 

Ein paar Häuser vorne dran (Wendalinusstraße 30 neue Nummerierung) ließ der Tabakfabrikant Nikolaus Kockler im Jahre 1906 sein Wohnhaus errichten. Und verlegte seine Tabakfabrik aus der Balduinstraße an den Hang des Bosenbachtales unterhalb seines Wohnhauses. Die Gebäude stehen zum Teil immer noch, nur hat ihre Verwendung heute nichts mehr mit Tabak zu tun. Die Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. Kerstin Gottschall & Clemens Arntz ist dort zu finden, die Firma "Hofmann Kleinmotorentechnik und Maschinenvermietung" und vor mehr als zehn Jahren fand sich dort das "Kom", ein Treffpunkt für die St. Wendeler Jugend.

 

Zur Geschichte dieser Tabakfabrik habe ich eine ganz besondere Beziehung, weil die Mutter des Nicola Kockler, der das Haus baute und die Fabrik verlegte, nach dem frühzeitigen Tod ihres Ehemannes den Laden übernahm und bis zur Übernahme durch ihren Sohn führte. Ihr Name war Elisabeth geb. Geiger. Ihr Großvater Franz Geiger, geboren in Bleiderdingen, gestorben in Reitscheid, war mein Urururgroßvater.

 

Schräg gegenüber finden wir in einem ehemaligen Lager der Firma Kirsch das in mühevoller Eigenleistung auf Vordermann gebrachte Haus des St. Wendeler Ortsvereins des Deutschen Roten Kreuzes. Es wurde 1984 bezogen und wird von seinen Mitgliedern "Kolonnenheim" genannt - in Erinnerung auf die frühere Struktur des DRK.

 

Die Gebäude, die sich anschließen, wurden alle nach 1900 errichtet. Ein bißchen mitgenommen vom Zahn der Zeit wirkt das Colbus-Haus mit seinen beiden Wendalinusdarstellungen über den Fenstern.

 

Frisch herausgeputzt dagegen der unmittelbare Nachbar, das Haus der Familie Corbe. Errichtet wurde es im Auftrag von Mathias Thelen, der bereits 1907 einen entsprechenden Plan einreichte, aber noch bis mindestens 1911 in seiner Dienstwohnung im Landratsamt in der Mommstraße wohnte - er war Rendant bei der Kreiskasse (Achtung: nicht Kreissparkasse, die war damals auch noch im Landratsamt, sondern "Kreiskasse". Und: das Wort heißt "Rendant" und nicht "Pedant"). Heute beherbergt es im Erdgeschoß den Waldorf Kindergarten St. Wendel.

 

Fazit

 

Ja, das wäre ein Teil von dem gewesen, was ich alles so hingeschrieben hätte, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte.

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