Sr. Wohlgeboren
Herr Steininger
Professor am Gymnasium
in Trier
Essen 19/4 (1832)
Sr Wohlgeboren
Herrn Herrn Steininger
Professor am Gymnasium
in Trier
per expres
Lieber Bruder!
Ich erhielt deinen Brief heute Mittag, die Theilnahme an meinem
Unternehmen und die Güte die du darin aussprichst, haben mich
mit Rührung erfüllt. Ich beeile mich, das zu antworten.
Mediziner werden könnte ich nicht, da es meiner Natur widerspricht.
Wollte ich Jus studiren, so würde dies eine weitbeschäftige Sache
werden. Auch angenommen, daß ich in 2 Jahren auf Universität
absolviren könnte, was sehr dahinsteht da ein philosophisches
Kurs nicht nöthig ist für einen Juristen; so müßte ich
rechten noch 3 Examen machen, zu denen man nur zuge-
lassen wird wenn man lange zeit praktisch gearbeitet hat,
das Ausentltator=, das Referendariats= und das sogenannte
3te rheinische Examen. Diese 3 Examina würden wenigstens
3 Jahre erfordern und ich wäre somit nach 5 Jahren, günstig
gerechnet, erst Advokat und könnte als solcher vielleicht auch
nach einige Jahre ohne Brod herumgehen. Dabei diente mir
mein ganzes mathematisches und physikalisches Wissen ja nichts
und meine bisherige Karriere wäre mir durchaus verloren.
Notar und Friedensrichter, muß ich gestehen, würde ich nicht.
Eher würde mich entsprechen, mich als dem zu einem Professor
auf Universität auszubilden, was indessen auch über
6 Jahre dauern würde. Im Baierischen dürfte ich vielleicht
schon zum Advokaten gelangen, würde aber als Ausländer
immer schlimm dran sein. An eine politische Umänderung
für die Rheinlande denkt hier kein mensch mehr, und
auch mir scheint ein langer Friede gewiß. Wenigstens
scheint es mir zu sehr gewagt, bei meinen unternehm(erischen)
(Seite)
Hoffnungen auf solche Veränderungen zu gründen. - Wollte
ich meinen Stand verlassen, so wäre immer mein erster Ge-
danke an das Bergwesen. Ich hätte da den Vortheil, daß
meine Kenntnisse mir von Nutzen wären, ob ich gleich auch
hierin von vorne anfangen müßte. Allein da ich in meinem
Alter einen solchen Schritt thue, mich jetzt, nach so vielen
Arbeiten und so vielem Ungemach auf lange Zeit unterwerfe.
So resigniere ich zugleich damit auf das häusliche Glück
auf das Angenehme und so manchen Genuß, den der Beamte
findet wenn er sich in einem gewissen Ziele sieht.
Ich leugne daher nicht, daß ich eine Entschädigung anderer
Art da für will. Ich will mich wenigstens bestreben, mir
die Möglichkeit eine Karriere zu machen offen zu halten.
Sollte ich also Bergmann werden, so würde ich bedacht sein
an ein Oberbergamt zu kommen, und würde gewiß erst
nach 10 Jahren O.b. Assessor sein. - In beiden Fällen dauert
es also sehr lange. In beiden Fällen habe ich noch mehrere Jahre
auch gar kein Gehalt, und auch nicht einmal auf eine Unter-
stützunng Seitens des Minist Trier zu rechnen. Ebenfalls muß
ich in beiden Fällen ganz von vorne anfangen, mein Wissen dient
mir wenig oder nichts, meine bisherige Karriere ist zugleich
verloren. Ich kann mich nicht entschließen, 11 Jahre umsonst
gelegt zu haben, jetzt nochd anzufangen wo der 20jährige Jüngling
steht. Das ist aber ganz anders, wenn ich Professor der Mathematik
und Physik werde. Was ich gelernt habe, gereicht mir zum Nutzen;
ich bliebe in meinem Fache; ich habe schon reelle Verdienste;
und das läßtt sich dabei einwenden, dieser Schritt hätte einige
Jahre früher geschehen können. Verloren habe ich nichts, habe
selbst gegen einen gewöhnlichen Professor mehreren voraus durch
(Seite)
meine praktische Karriere. Die Möglichkeit ist mir dadurch
auch vorhanden, neben dem einmal Schulrath zu werden. Das
Ministerium wird mich gewiß nicht immer ohne Unterstützung
und auch gewiß nicht sehr lange ohne Geld lassen. Ich bin
als Inländer angesehen, und bin auch nicht ganz ohne Empfehlung.
Nachc 6 Jahren bin ich gewuß am Ziele meiner Wünsche, und
so viele Schulden nachzubezahlen hoffe ich nicht. Ich muß freilich
dabei in der Hauptstadt sein; aber ist hier die Natur viel schöner?
Ist das Leben besser? Euch kann hier alles sehr auffallen, ich aber
bin schon 8 Jahre sowohl an die dürftige Natur als an das dürftige
Leben gewöhnet. Auch ist die Entfernung von den Meinigen nicht sehr
in Anschlag zu bringen, da ich ja auch hier schon zu weit entfernt
bin um öfter nach Hause kommen zu können. Nein, ich bitte dich,
dich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Vor 6 Jahren noch hätte dein
Brief mich zum glücklichsten Menschen gemacht, ich würde ohne Bedenken
Jurist geworden sein und habe damals oft daran gedacht. Aber
jetzt ist es dazu zu spät, ich kann nicht wieder von vorn anfangen
und zehn Jahre verloren gaben. - Noch ein halbes Jahr muß ich auf
jeden Fall hier aushalten, gemäß meiner Notatioon; ich werde
wahrscheinlich auch erst gegen Pfingsten meine Entlassung vom
Ministerium bekommen. Sobald ich letztere habe, werde ich dir
wieder gleich schreiben. Ich habe reiflich überlegt, und 2 Jahre lang;
also nicht unbedacht trete ich mein Unthernehmen an. Ich werde aber
noch ein ganzes Jahr lang deine Vorschläge beherzigen können,
und also noch Zeit genug haben meinen Entschluß zu ändern, sollte
ich mein eines besseren belehren. Ich danke dir von Herzen für deine
Sorge. Du hast schon so viel für uns alle gethan; ich habe dir noch
nichts vergelten können; daß du selbst nun dich sogar anbietest,
mich nicht im Stiche lassen und mir helfen zu wollen, hat mich mit
Rührung erfüllt. Ich sage dir meinen innigen Dank für dein Aner-
bieten, Nikola will ja so gut sein mir für dergleichen Bedürfnisse
(Seite)
sorgen. Wie gesagt, ich werde deine Vorschläge auch alle überlegen,
da uns noch Zeit dazu ist. Ich wünsche, daß dir das Bad recht wohl
bekommen möge und diesen sommer deine Gesundheit wieder
vollkommen hergestellt werde. Wenn du noch heute reisen solltest,
so grüße meine Mutter recht herzlich, so wie ich euch alle von Herzen
grüße.
Dein ergebenster C.
Steininger